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Inszenierte Egos in einer anonymen Welt

Meine Meinung zu Dating-Apps

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Ich bin 36, Mama eines sechsjährigen Sohnes, fast Vollzeit berufstätig und – Single. Die Trennung ist nun knapp eineinhalb Jahre her. Und diese Zeit habe ich auch gebraucht, um das Aus nach sieben Jahren Beziehung zu verarbeiten. Doch nun ist Frühling und ich sehne mich wieder ernsthaft nach einer kleinen Liebelei. Wie selbstverständlich greife ich zum Handy und suche nach einer geeigneten Dating-App. Doch warum eigentlich?

Anonym und inszeniert

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Ich nehme auf einmal erschreckend war, welchen Stellenwert das blöde Handy heute hat. Ich fahre zwei mal am Tag mit der Bahn, jeweils eine Strecke von knapp 20 Minuten. Und jeden Tag sehe ich dasselbe Bild. Der Großteil der Pendler starren verloren auf ihre Smartphones. Schnell noch mal die Mails checken, ein kurzer Austausch per Whats App, das neueste Foto auf Instagram. Wir leben anonym in einer inszenierten Welt. Blickkontakt? Keine Chance. Und guckt dann doch mal jemand, ist er von meinem Lächeln so irritiert, dass er erschrocken weg sieht. Was ist nur mit den Menschen los? Nun ist der Zug auch nicht der heilige Gral. Jemanden kennen lernen, dass kann ich auch woanders. Oder etwa nicht?

Keine Zeit für die reale Welt

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Früher ging ich in Bars, um jemanden kennen zu lernen. Ich war Gast auf den Hauspartys meiner Freunde oder landete schlimmstenfalls auf einer Singleparty. So anstrengend ich das auch manchmal fand, ich traf reale Leute in einer realen Welt. Heute gibt es diese Möglichkeiten immer noch. Der einzige Unterschied zu damals ist, dass ich heute Mama bin und der Kleine nach der Trennung bei mir lebt. Um Auszugehen bleiben mir also gerade mal zwei Wochenenden im Monat. Die restliche Zeit kümmere ich mich um meinen Sohn. Mal abgesehen von der Zugfahrt, dem Kindergarten oder meiner Arbeit – und Leute, never fuck the company – habe ich tatsächlich kaum Zeit für die reale Welt. 

Die scheinbar perfekte Lösung

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Doch offensichtlich lebe ich in einer Zeit, wo es für jedes reale Problem mittlerweile eine digitale Lösung gibt. Du hast keine Zeit einzukaufen? Kein Problem, bestell dir deinen Wocheneinkauf einfach online. Du kennst deinen Nachbarn nicht? Macht nichts, eine App zeigt dir, wer neben dir wohnt. Du trinkst zu wenig? Mach dir keine Sorgen, dein Smartphone erinnert dich daran. Die Digitalisierung hat uns offenbar fest im Griff. Und so eben auch in Sachen Dating. Du hast keine Zeit real jemanden kennen zu lernen? Sei unbesorgt, wir matchen für Dich. Und eigentlich ist es auch ganz praktisch – kein Aufbrezeln, kein Pseudogequatsche, kein stundenlanges durch die Nacht Gestreife. Einfach rauf auf die Couch, Smartphone an und los geht die Suche nach Mister Right. Gerade für Singlemamas wie mich die scheinbar perfekte Lösung. Doch was tue ich da eigentlich?

Inszenierung die Zweite

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Was ich anfangs noch so deutlich kritisiert habe, ist auf einmal meine eigene Realität. Ich inszeniere mich und mein Leben anonym neben den anderen rastlosen Seelen in dieser großen Stadt. Mit höchster Präzision wähle ich die Bilder aus, die mich am optimalsten zeigen und schreibe einen Text, der einer Werbeanzeige für das neueste Fahrzeugmodell gleicht. Und meine Profile explodieren. Ja, ich habe zwei. Doch zu etwas ernsthaftem geführt hat bisher weder das eine, noch das andere. Und es ist immer dasselbe Prozedere.

Und täglich grüßt das Murmeltier

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Ich schaue mir also die Fotos der potentiellen Kandidaten an – links wischen für nein, rechts wischen für ja. Bei einem Match gibt es ein Pling. Und ich denke, erster Schritt gemacht. Und nun gibt es drei Szenarien. Nummer eins: Es passiert gar nichts. Nummer zwei: Einer von uns beginnt zu schreiben, wir texten kurz hin und her. Und dann, Funkstille. Nummer drei: Einer von uns beginnt zu schreiben, wir texten hin und her und entscheiden uns letztlich für ein Date. Davon hatte ich in der letzten Zeit genau drei. Und alle waren irgendwie ein Desaster.

 

Letztlich gleicht die Suche nach dem Ritter auf dem weißem Ross einem Sales Funnel: oben viel rein tun, um unten einen potentiellen Kandidaten zu gewinnen. Was anfangs noch mit viel Spaß verbunden war, empfinde ich mittlerweile einfach nur noch als anstrengend. Letztlich spiegelt dieses Wisch-Wasch exakt die Zeit, in der ich lebe. 

Eine Alternative zum nun mehr öden Fernsehprogramm

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Kann diese Art des Datings wirklich zielführend sein oder vertreibe ich mir damit nicht einfach nur die Zeit bis zum nächsten irgendwas? Ich beurteile Menschen nach einem ersten Blick auf das inszenierte Profil, werfe weg, was mir nicht gefällt. Und auf einmal fühlen sich diese Dating-Apps wie die Zugfahrt am morgen an. Nur dass ich plötzlich diejenige bin, die niemanden mehr richtig ansieht. Und gleichermaßen empfinde ich auch mein virtuelles Gegenüber. Das Sammeln von likes dient dem aufpolieren von Selbstwertgefühlen und verletzten Egos. Und dabei geht es nicht mal um reale Personen, sondern nur um inszenierte Versionen unserer selbst. Und das ist so gar kein schönes Gefühl mehr. Das fühlt sich nicht mehr richtig an.

Ganz bei mir

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Und auf einmal bin ich wieder ganz bei mir. Mir wird klar, so möchte ich das nicht. Ich träume immer noch von der schicksalhaften Begegnung an der Supermarktkasse, im Bistro neben meinem Büro oder dem Coffee Shop nebenan. Ich will echte Dates mit wahrhaftigen Menschen. Ich will tiefgründige Gespräche über Gott und die Welt. Ich will Meinungen und Standpunkte und kein oberflächliches Bla Bla. Und ich kann warten, denn ich habe Zeit. Mein Leben funktioniert auch ohne Mann. Auch wenn es manchmal mit einem mehr Spaß macht. Aber ein bisschen Wisch-Wasch darf es am Ende dann doch noch sein.

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